Reisebericht als PDF mit Bildern
Wie bereits in den letzten Jahren gab es auch dieses Jahr wieder eine von Herr Seelisch betreute und organisierte Studienfahrt nach Ungarn. Im Vorfeld fand im Rahmen zweier Blockveranstaltungen die inhaltliche Auseinandersetzung und Vorbereitung der Reise statt. Nach intensiver Beschäftigung mit der ungarischen Geschichte, Ungarns politischer Landschaft und deren Wandel in den letzten Jahrzehnten und einigen allgemeinen Informationen zu unserem Nachbarn im Osten machten sich am 30.06. Herr Seelisch und sechs Student*innen, da vier weitere leider kurzfristig erkrankten oder aus anderen Gründen absagten, dann nun endlich auf den Weg. Nach kleineren und größeren Schwierigkeiten erreichte nachts um zwölf dann auch die Letzte das Wohnheim der ELTE Universität in Budapest.
Montags starteten wir die Woche mit einer Sightseeing-Tour durch Budapest, um uns mal einen grundsätzlichen Überblick zu verschaffen und uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt anzuschauen. Am Nachmittag trafen wir auf Christine, eine unserer ungarischen Kontakte vor Ort, und besuchten mit ihr gemeinsam eine Besserungsanstalt für minderjährige,straftätige Mädchen. Diese Einrichtung ist einzigartig im ganzen Land, in verschiedene Gruppen unterteilt, staatlich finanziert und war für uns alle eine neue Erfahrung, der der Zutritt zu ähnlichen Einrichtungen in Deutschland ja bekanntlich eher schwierig ist. Zum Abendessen trafen wir uns mit Gisi in einem der besten Restaurants Budapests und sammelten vielseitige Einblicke in die ungarische Ess- und Trinkkultur. Nach dem offiziellen Ende dieses ereignisreichen ersten Tages waren die hochmotivierten Student*innen jedoch noch nicht vollständig ausgelastet und entschieden sich, den (name des Berges) zu besteigen und Budapest einmal von oben zu begutachten. Nach abenteuerlichen Querfeldeinläufen und diversen Treppenstufen später hatte sich die Anstrengung aufjedenfall gelohnt. Nach dem die Aussicht eindeutig ausgiebig genossen wurde kletterten sechs müde und verschwitzte Student*innen den Weg wieder runter und landeten am Ufer der Donau. Nach kurzer Überlegung standen oder saßen die ersten auch schon drinnen und hier endete unser erster Abend in Ungarn.
Der Dienstag begann früh aber dennoch voller Motivation mit dem Besuch des ungarischen Ministeriums für Menschen mit Gehbehinderungen. Nach einem interessanten Gespräch über die staatlichen Maßnahmen zur Unterstützung dieser Menschen, den damit verbundenen bürokratischen und finanziellen Hürden und den bevorstehenden Entwicklungen nach der Beschließung einiger neuer Gesetze, besuchten wir eine vollstationäre Einrichtung für Menschen mit einer oder mehreren Gehbehinderungen, kauften in deren Werkstatt die ersten Souvenirs für Freunde und Familie zu Hause, sprachen auch hier über die durch staatliche Finanzierungen gegebenen oder eben ausbleibenden Möglichkeiten im Einrichtungsalltag und machten danach unsere Mittagspause auf den malerischen Margareteninseln. Nachmittags besuchten wir eine ungarische NGO, die sich für die Rechte von Menschen mit Gehbehinderungen einsetzt und Fahrdienste und Pflegeangebote organisiert. Der direkte Vergleich zu dem Besuch im Ministerium war sehr lehrreich und zeigte einige Differenzen und Problemsituationen auf. Vorallem in den letzten Jahren hat sich die finanzielle und personelle Situation stark verschlechtert, was natürlich im Kontext zu Ungarns aktueller Regierung gesehen werden muss und sich dann in eine Reihe anderer Verschlechterungen der letzten Jahre einreiht. Der Tag endete im jüdischen Viertel, dem 7. Bezirk Budapests, mit dem Besuch zweier typisch ungarischer Kneipen und einem entspannt ausklingendem Abend.
Mittwochmorgen war die Zeit in Budapest fürs erste auch schonwieder vorbei und wir verließen mit Gisis tatkräftiger Hilfe beim Ticketkauf gemeinsam die Stadt und machten uns auf dem Weg nach Szekesvervar. Nach 2h Zugfahrt durch das ungarische Hinterland wurden wir am Bahnhof von Laszlo und Maria empfangen. Von dort aus ging es direkt in das 2015 neu gebaute, staatlich und aus Privatspenden finanzierte, örtliche Kinderheim des Kommitats. Nach einer längeren Gesprächsrunde mit drei Mitarbeiter*innen verschafften wir uns einen Überblick über die Räumlichkeiten und kamen weiter ins Gespräch. Eine der vorhandenen Wohngruppen ist speziell für Kinder mit einer Behinderung oder schweren gesundheitlichen Einschränkungen und einer weitere für minderjährige Mütter mit eigenen Kindern. Sowohl wir als auch die Mitarbeiter*innen haben viele Fragen gestellt, sie mehr oder weniger beantwortet bekommen und eine ganze Menge an Parallelen zwischen der deutschen und ungarischen Kinder- und Jugendfürsorge gefunden. Im Anschluss besuchten wir die Räumlichkeiten der ECHO.Der Besuch begann mit der Vorstellung zweier Projekte. Einmal dem Beratungsangebot zur Arbeitsplatzsuche, Persönlichkeitscoachings und einer mehr oder weniger breit aufgestellten Stadtteilarbeit und einem Projekt zur Bildungsermöglichung für Mädchen, die der ethischen Minderheit der Sinti und Roma angehören. Diese haben es in Ungarn sehr schwer, gehen oft nicht zur Schule, leben in traditionellen und nur schwer aufzubrechenden Familienstrukturen und gehören zum ärmsten Teil der ungarischen Gesellschaft. Im Anschluss an diese beiden Projektvorstellungen erhielten wir Einblicke in ein technisches Forschungs- und Förderungsprogramm, welches hauptsächlich mit EU-Geldern finanziert wird, und hatten die Möglichkeit eine Drohne fliegen zu lassen und Virtual Reality Brillen zu testen. Im Anschluss ging es gemeinsam mit Laszlo, der uns schon den ganzen Tag als verlässlicher Dolmetscher begleitete, zur Kuhalany Universität. Laszlo verschaffte uns einen Überblick über die Historie der Universität, ihre aktuellen Studiengänge, die aktuelle finanzielle Lage und die strukturellen Probleme mit denen sie sich tagtäglich beschäftigen müssen. Danach war es dann auch schonwieder Zeit fürs Abendessen in einem kleinen aber feinen Restaurant und einer knappen mit Eis verbundenen Stadtführung mit Laszlo. Auf Empfehlung Laszlos ließen wir den Abend in einer Hinterhofbar ausklingen.
Der Donnerstag startete malwieder viel zu früh mit einer 3h Autofahrt in Richtung Balaton. Eine Studentin hatte uns den Kontakt zu zwei Einrichtungen verschafft die wir vor Ort besuchten. Die erste Einrichtung war einen Tagesstätte für Menschen mit geistigen Behinderungen, die aber auch Arbeitsplätze vermittelte. Wir hatten ein gemeinsames Gespräch mit den Mitarbeiter*innen und Klient*innen über ihren Alltag, die Strukturen der Einrichtung, begeneten wieder den für Ungarn typischen strukturellen und finanziellen Behinderungen der Sozialen Arbeit durch staatliche Restriktionen und verließen die Einrichtung nach bereichernden 1,5h wieder. Unsere Mittagspause verbrachten wir am Ufer des Balatons und einem landestypischen Langos. Danach ging es weiter in eine Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Krankheiten. Nachdem hier einige organisatorische Probleme gelöst werden mussten, besichtigten wir auch hier das Gelände. Besonders hervor stachen hier die gut ausgestatten Werkstätten und die zur Einrichtung gehörende und mit eigenem Fachpersonal ausgestatte Krankenstation. Die Studentin, die uns den Kontakt zu diesen Einrichtungen vermittelt hatte, hatte uns für den Nachmittag zum kulturellen Highlight der Woche zu sich nach Hause eingeladen. Mitten in den Weinbergen des balatonischen Oberlandes, waren wir auf eine Weinprobe der Weine des Vaters ihres Mannes eingeladen. Die friedliche Umgebung und das entspannte beisammen sitzen bildeten einen willkommenen Kontrast zu dem zeitlich ansonsten komplett durchgeplanten Programm der Woche. Bei Unterhaltungen über Wein, Motorräder, die ungarische Geographie und die ungarische Politik fühlten wir uns schon fast wie zu Hause. Wir genossen die Aussicht über das schon fast an die Toskana erinnernde Oberland und erklommen malwieder einen Berg um uns die ganze Angelegenheit von oben anzuschauen. Auch eine kleinere Verletzung einer Studentin auf dem Rückweg tat der Stimmung keinen Abbruch und Kinderlieder singend ging es gegen 20:00 zurück nach Sekesvervar.
Den Freitag verbrachten wir bei Maria in Chakvar. Zu Beginn führten wir ein Interview mit der regionalen Tageszeitung über unsere Ostpartnerschaften und unsere bisherigen Erfahrungen in Ungarn und verbrachten Zeit in dem örtlichen Museum zu ungarischer Geschichte und Kultur auf dem Land. Danach besuchten wir das katholische und das reformierte Altersheim der Stadt, wurden auch hier wieder herzlich empfangen und führten Unterhaltungen in den Bereichen Pflege, Finanzierung und Personalmangel und konnten auch hier wieder Parallelen zu den prekären Zuständen der deutschen Altersheime finden. Zum Mittagessen besuchten wir die Ehrenbürgerin der Stadt in ihrem Restaurant und fuhren danach mit einer Pferdekutsche zu dem von Maria initiierten Denkmal zu Ehren der gestorbenen jüdischen Familien der Stadt in der Zeit der Deportationen durch die deutsche Besatzungsmacht. Im Anschluss besuchten wir das ehemalige Schloss der Familie Esther-Hazy, die das soziale und politische Leben der Stadt über mehrere Jahrzehnte nachhaltig und positiv beeinflusste. Unsere kleine Zeitreise endete in einer Töpferwerkstatt, in der wir sowohl einiges über die ursprüngliche Kunst des Töpferns lernten und danach auch selbst noch jeder eine Runde töpferten. Nach einem Eis in der besten Eisdiele des Landes 2017 verabschiedeten wir uns von Maria und traten mit einem kleinen Abstecher an dem größten Prestigeobjekt der Orban-Regierung, einem überdimensionalen Fußballstadion in Viktor Orbans Heimatdorf, den Rückweg an. Der Abend endete mit entspannten Gesprächen am Seeufer und aufgrund der weit verbreiteten Erschöpfungserscheinungen auch schon ziemlich früh.
Samstagmorgen stand die Rückfahrt nach Budapest an und damit auch der Abschied von Laszlo. In Budapest bezogen wir für unsere letzte Nacht in Ungarn nochmal die Unterkunft vom Beginn der Woche. Um 14:00 trafen wir uns mit Susi, die uns auf eine 4 stündige Tour durch Budapests jüdische Geschichte mit durch die Stadt nahm. Sie beeindruckte uns mit ihrem immensen Wissen, erzählte uns viel, was nicht in den Reiseratgebern steht, zeigte uns ein winziges Hinterhofcafe mit ungarisch-jüdischen Spezialitäten und beantwortete unsere diversen Fragen mit bemerkenswerter Geduld. Gisi schloss sich uns zum Ende hin wieder an und ging gemeinsam mit uns noch ein letztes Mal Abendessen. Der Abend endete auf einem Straßenfest auf der Margaretenbrücke und dann noch ein letztes Mal mit den Füßen in der Donau.
Unsere Zeit in Ungarn hat uns diverse neue Perspektiven und Parallelen, Probleme und Differenzen aber auch Gastfreundschaft und Kultur mit nach Hause gegeben und war für uns alle eine zwar anstrengende aber sehr schöne und lehrreiche Woche. Wir bedanken uns bei allen, die sich die Zeit für uns und unsere vielen Fragen genommen haben, gedolmetscht und organisiert haben und uns bei sich zu Hause willkommen geheißen haben. Wir werden wieder kommen und freuen uns, euch vielleicht einmal in Deutschland willkommen heißen zu können.