Sterben lassen

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Die Situation von Geflüchteten im Mittelmeer hat im Juni wieder eine hohe mediale Aufmerksamkeit erzeugt. Beispielsweise durch die “illegale” Aktion von Carola Rackete, die mit 40 Menschen an Bord ohne Erlaubnis an einem italienischen Hafen angelegt hat. Daraufhin folgte eine breite Solidarisierung in der europäischen Gemeinschaft, insbesondere in den deutschen Medien und Online Foren waren viele empört über das Verhängen des Hausarrests für Carola Rackete. Mittlerweile ist sie nach einem italienischen Gericht freigelassen. Eine Klage gegen sie läuft allerdings weiterhin. Am 07. Juli wurde von Malta erlaubt, dass ein Seenotrettungsschiff mit 65 Menschen anlegen darf.
Es darf nicht sein, dass die EU als Staatengebilde wiederholt über Einzelfälle entscheiden muss.
Dies soll allerdings deutlich keine Positionierung nur für Carola Rackete oder die zivile Seenotrettung sein. Das Studierendenparlament fordert, dass der Kern der Problematik klar und deutlich benannt wird. Wir positionieren uns gegen die rassistischen Strukturen in Europa.

Diese zeigen sich beispielsweise in der medialen Aufmerksamkeit die Carola Rackete oder ein Walter Lübcke bekommen. Es kann natürlich als positives Zeichen gewertet werden, aber wenn jede*r Geflüchtete der im Mittelmeer, in Libyen oder in anderen Situationen lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt ist, auch nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit bekommen würde wie diese beiden europäischen Personen, wären die europäischen Regierungen gezwungen zu handeln. Das hier beschriebene Problem ist nicht der offen formulierte, menschenverachtende Rassismus von sogenannten rechtsnationalen oder rechtspopulistischen Parteien oder Akteur*innen. Es ist der Rassismus der gesellschaftlich etabliert ist, der den medialen Diskurs bestimmt und der die öffentliche Meinungsbildung prägt. Somit sind auch die europäischen Regierungen und ihre Politik vom Rassismus durchzogen. Auch Akteur*innen, die öffentlich bekunden, dass die Situationen nicht tragbar sind, sind nicht in Zugzwang, da das Sterben lassen im Mittelmeer in der breiten Masse der Gesellschaft akzeptiert und hingenommen wird.
Michel Foucault hat den Begriff der Tötung um den indirekten Mord erweitert und konstituiert, dass die moderne Form des Tötens in unserer Gesellschaft das Sterben lassen ist, lange vor der aktuellen Situation im Mittelmeer. Wir lassen zu, dass Menschen sich einem Todesrisiko ausliefern, wir lassen zu, dass dies gesellschaftlich schon beinahe zur Normalität geworden ist. Foucault nannte den Ursprung dieser Situation beim Namen. Er nannte es Rassismus.

Dieser Rassismus basiert auf den postkolonialen Strukturen, die immer noch bestehen. Die EU arbeitet mit der libyschen Küstenwache zusammen. Libyen kann gut und gerne als ‘failed state’ bezeichnet werden und ist ein Bürgerkriegsland. Die herrschende Miliz stellt die Küstenwache und ist von der EU beauftragt worden ihre Küsten  freizuhalten und ein Übersetzen der Geflüchteten zu verhindern. Gleichzeitig werden Menschen auf der Flucht von Anhänger*innen eben dieser Miliz in unmenschliche Lager einquartiert, in denen Vergewaltigung, Erpressung und Folter an der Tagesordnung stehen. Für ihre Migrationspolitik und ihre  Zusammenarbeit mit dieser Miliz wird die EU derzeit sogar vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt.

Als weitere neuere grausame Entwicklung herrscht nun die Situation, dass Menschen auf der Flucht in Libyen zwischen den Fronten stehen und erneut in die Situation von Luftangriffen kamen. Auch wenn die libysche Regierung nun über eine Schließung der Lager berät, ist keine gute Alternative abzusehen. Die Situation in Libyen ist zu komplex, um sie hier nachzuzeichnen, aber klar sollte sein, dass die bestehende Situation nicht akzeptabel ist und das die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache sofort gestoppt werden muss.

Das Studierendenparlament der Evangelischen Hochschule Darmstadt fordert

  • Stopp der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache
  • Eine europäische staatliche Seenot-Rettungsmission
  • UNHCR Camps in Libyen, die die bestehenden Camps ablösen
  • sichere Fluchtwege nach Europa und die Möglichkeit einen Asylantrag bspw. in den Botschaften zu stellen

Dies mag nach viel klingen, es sind aber alles Forderungen, die durch die Menschenrechtskonvention und die UN Flüchtlingskonvention gedeckt sind und in kurzer Zeit umsetzbar sein müssen. Die derzeitige Situation zeigt offenkundig, dass der Zugang zu Menschenrechten abhängig von Herkunft und Hautfarbe ist. 71 Jahre nach Verabschiedung der Menschenrechte sind es immer noch mehr rassistische Strukturen und postkoloniale Denkmuster, die unser Zusammenleben auf der Welt beeinflussen.

Deshalb rufen wir alle auf, sich der Demo in Dresden gegen Rassismus anzuschließen. Die Initiative ‘Welcome United’ ist eine offene Initiative von Personen aus verschiedenen sozialen, antirassistischen und politischen Netzwerken. Hinter Ihr stehen keine großen Organisationen und keine Parteien. Die Organisation ruft zur Teilnahme an der Demo in Dresden am 24.08.2019 auf:

https://www.welcome-united.org/de/%ef%bb%bfalltag-machen-sachsen-machen-weitermachen/

Auf ein baldiges Ende der rassistischen Migrationspolitik.

Mit solidarischen Grüßen

Das Studierendenparlament der Evangelischen Hochschule Darmstadt

Quellen:

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-07/sea-eye-alan-kurdi-malta
https://youtu.be/Orct66NUgC4
https://geschichtedergegenwart.ch/sterben-lassen-an-europas-kuesten/
https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-07/libyen-buergerkrieg-luftangriff-fluechtlingslager-tajoura
https://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-studie-belegt-folter-und-vergewaltigung-von-fluechtlingen-a-1259372.html
https://www.zeit.de/politik/2019-06/fluechtlingspolitik-eu-menschenrechtsverstoesse-anzeige7​https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-07/angriff-migranten-libyen-fluechtlingslager-gefahr-freilass

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